Kurz vor dem Einmarsch der Russen in Peenemünde gelang es Wernher von
Braun, General Dornberger und etwa 100 Spezialisten, sich nach Westen
(Oberjoch, Bayern) abzusetzen. Hier stellten sie sich den Amerikanern
und wurden zunächst in Füssen interniert und verhört. Die Hauptverhörer
waren Dr. Richard W. Porter von General Electric, von der US-Armee
beauftragt, soviel wie möglich über Raketen und ferngelenkte Geschosse
zu erfahren, und Colonel Holger N. Toftoy, Leiter des
US-Raketenwaffenamtes. Zunächst war von amerikanischer Seite wohl nur
beabsichtigt, das “know how” (= praktisches Wissen) aus den Deutschen zu
quetschen, doch bald erkannten die beiden, daß es für die USA das Beste
wäre, die Spitzenkräfte (500-600 Mann hatte man inzwischen gesammelt),
nach USA zu verfrachten, um sie vor allem dem Zugriff der Russen zu
entziehen. Dieser Vorschlag stieß, wie vom damaligen politischen Klima
nicht anders erwartet, zunächst auf Ablehnung der US-Regierung, die in
den deutschen Wissenschaftlern nur Handlanger Hitlers, Nazis oder
gefährliche Kriegsverbrecher sah. Auch meinten einige der
Kongreßabgeordneten, von ihrer eigenen Propaganda überzeugt, in typisch
amerikanischer Verblendung: “… im übrigen sei ja der Krieg gewonnen,
damit nun endlich ewiger Friede ausgebrochen, wozu brauchte man da noch
Raketen?” In dieser Haltung wurden sie noch durch die abfälligen Urteile
über die deutschen Fachkräfte von vielen überheblichen amerikanischen
Wissenschaftlern, vornehmlich jüdischer Herkunft, bestärkt. Diese
bezeichneten die deutschen Wissenschaftler und Ingenieure nur als
“bessere Laboranten”.
Nach dem üblichen bürokratischen Tauziehen gelang es Toftoy, die
Ausreisegenehmigung für 100 Mann zu erhalten, aus denen schließlich 127
wurden. Im Herbst 1945 war es soweit. Der Umzug erfolgte durch die
“organization paperclip”, ein Projekt der US-Armee, um deutsche
Fachkräfte anzuwerben. Der Umzug erfolgte ohne Visum, aber mit dem
Wissen des Präsidenten. Natürlich war die Vergangenheit jedes einzelnen
gründlich untersucht und seine politische Unbedenklichkeit bescheinigt
worden, bevor er einen, zunächst nur auf 1/2 Jahr befristeten, Vertrag
bekam.
Bald erkannte die US-Armee, daß sie in USA so billig keine
gleichwertigen Fachkräfte bekommen konnten, und so wurden die Verträge
nach Ablauf jedesmal auf ein weiteres Jahr verlängert. Toftoy war wohl
der eifrigste Fürsprecher der Deutschen und sah zu, daß sie weiter für
die Armee arbeiteten. Die erste Station für die Fachwissenschaftler war
Fort Bliss in der Nähe von Del Paso in Texas. Dort verbrachten sie die
nächsten 5 Jahre. Ihre Aufgabe war es zunächst, die Amerikaner in die
V-2-Technologie einzuweihen, V-2-Raketen aus erbeuteten Teilen
zusammenzubauen und diese mit einer Nutzlast von Meßgeräten zu fliegen.
Die Abschüsse fanden auf dem 130 km nördlich gelegenen militärischen
Übungsgelände in White Sands, Neu Mexiko, statt. Mittel für weitere
Forschung auf dem Raketengebiet wurden den Deutschen von der Regierung
nicht gewährt. Weiterentwicklungen wurden nur von amerikanischen
Wissenschaftlern betrieben, die für die Navy und Airforce arbeiteten.
Die Entscheidung des Kongresses, die Peenemünder “auf Eis zu legen”,
führte auch dazu, daß die Deutschen praktisch keinen Kontakt mit
amerikanischen Fachkräften bekamen. Die Vorschläge v. Brauns für
zukünftige Projekte schmiß Major James P. Hamill, der Kommandant von
Fort Bliss, gleich in den Papierkorb, wie er dies später selbstgefällig
erzählte.